„Bald wird es keine Shopping Center mehr geben!“ Das zumindest ist die Ansicht von Ismaël Sanou, Absolvent der Universität der Künste Berlin. Wie er zu dieser Meinung kam? In seiner Master-Arbeit setzte sich der heutige Grafikdesigner und Szenograf nicht nur intensiv mit dem „Phänomen Shopping Center“ auseinander, analysierte Herkunft, Konzepte und Zukunftsaussichten, sondern erkannte auch: „Der Massenkonsum schadet uns und unserer Umwelt. Shopping Malls werden also früher oder später aussterben. Zudem brauchen wir für die Konsumation keinen bestimmten Ort mehr.“ Dass er damit richtig liegt, zeigen nicht nur aktuell eindeutige Tendenzen, sondern auch eine Fülle an neuen Ideen, verwegenen Konzepten und fieberhaften Wiederbelebungsmaßnahmen vereinsamter Einkaufszentren. Ein Blick in seine ausführliche Abschlussarbeit lohnt sich also allemal …
„2020 soll in den USA jede vierte Mall tot sein. Tote Malls bieten daher eine ideale Experimentierfläche für die neue, klimafreundliche Stadt.“
Zu Beginn seiner Arbeit verfolgte Ismaël Sanou das Ziel, sich mit der Bedeutung des Raums zu beschäftigen, der uns beim Shoppen umgibt, um das Einkaufen an sich lukrativer und interessanter zu gestalten. Dabei wollte er nicht die Geschäfte oder Shopping Center neu interpretieren, sondern vielmehr etwas hinzufügen: Er wollte den Strom an Menschen nutzen und ihnen einen leichten Zugang zu Kunst und Kultur anbieten. Er wollte Wissen und Informationen zugänglich machen, die sonst nur in Museen und Galerien zu finden wären. Allerdings schien es ihm beinahe zu banal, eine Ausstellung in den „Freiräumen“ von Shopping Centern zu konzipieren – zumal ihm auffiel, dass dieser Ort unzählige versteckte Botschaften in sich birgt, die wir teilweise entziffern, aber nicht immer wirklich deuten können oder deuten wollen. Also setzte er sich intensiv mit dem „Phänomen Shopping Center“ auseinander, ging bis zu deren Ursprüngen und Victor Gruen zurück, analysierte traditionelle sowie moderne Konzepte, die versuchen, das gesellschaftliche Leben in diesen Ort zu integrieren, und kam zu dem Schluss: „Das Shopping Center war früher ein Treffpunkt für alle. Es diente nicht nur dem Einkaufen, sondern auch der Unterhaltung. Da der Trend aktuell jedoch immer mehr zum Online-Shopping tendiert, verliert das Center heute an Attraktion: Leerstehende und verfallende Malls wie in den USA werden auch in Europa Einzug halten. In meiner Arbeit möchte ich keine Verbesserung oder Umgestaltung des Konsumtempels konzipieren, ich möchte vielmehr die Eigenschaften und Besonderheiten, die zum Erfolg dieser Einkaufszentren beigetragen haben, zusammentragen. Ich möchte das Center als solches würdigen, aber gleichzeitig auch kritisch beleuchten. Denn auch wenn uns allen bekannt ist, dass Werbung uns in unserer Entscheidungsfindung stark beeinflusst und dies dazu führt, dass wir oftmals mehr einkaufen, als wir uns vornehmen, lassen wir uns trotzdem verführen: Uns wird gezeigt, dass es mehr gibt, als wir haben und brauchen, und uns wird suggeriert, dass wir alles erreichen können, wenn wir konsumieren. Jenen Wertewandel, der in Shopping Centern besonders deutlich wird, betrachte ich mit Skepsis und dies soll in meiner Arbeit spürbar werden.“
Konsumkritik als Rauminstallation
Da Sanou an der UdK Berlin den Studiengang „Visuelle Kommunikation“ im Fachbereich „Raumbezogenes Entwerfen und Ausstellungsgestaltung“ unter der Leitung von Prof. Gabi Schillig absolvierte, befasste er sich nicht nur theoretisch mit dem Typus des Einkaufszentrums, sondern auch räumlich: Er untersuchte die Bereiche in den Malls genauer, in denen das Erlebnis nicht direkt im Laden stattfindet – die Räume zwischen den Geschäften mit Blick zum Schaufenster, in denen das Einkaufen beginnt sowie endet und die uns wieder und wieder in neue Konsumwelten locken, obwohl wir bereits gehen wollten. „In den Gängen und an den Erholungsorten möchte im Grunde jeder profitieren: Sind die Konsumierenden glücklich, sind es auch die Geschäfts- und Mall-Betreibenden. Die Ästhetik dieser Zwischenzonen sowie der angrenzenden Schaufenster erzeugt also einen immensen Mehrwert für die zu erwerbenden Produkte.“
Um die gewonnenen Erkenntnisse seiner intensiven Forschung konzentriert darzustellen und für andere zugänglich zu machen, übersetzte Sanou sie in acht gleich große Rauminstallationen, die er virtuell im Szenario der „ausgestorbenen“ Mall of Berlin verortete. „Wenn Shopping Center über kurz oder lang verlassen werden, dann sind sie der ideale Ort, um hier eine konsumkritische Ausstellung zu zeigen: Besuchende sollen hinter die Kulissen des Massenkonsums blicken und es soll deutlich werden, wie es dazu kommen konnte.“ In dem 2014 eröffneten Einkaufszentrum wurden die acht Räume, die acht Überthemen gewidmet waren, dementsprechend wie Fremdkörper präsentiert. Dabei waren die Inszenierungen „Konsum überall“, „Verzerrung“, „Blendendes Idealbild“, „Gekaufte Erholung“, „Hinter dem Glas“, „Leere Versprechen“, „Fokus“ und „Überfluss“ mit einer Grundfläche von zwölf auf acht Metern jeweils in Gang- und Shop-Bereich gegliedert und spiegelten mit passenden Materialien und Klanglandschaften seine Auseinandersetzung mit Architektur, Entschleunigung, Werbung, Kapitalismus, Gesellschaft, Idealbild und Produktion wider.
Der Punkt, für wen eine solche Ausstellung interessant sein und wer überhaupt verlassene Einkaufszentren aufsuchen könnte, führte Sanou zum nächsten Thema: „Ich stellte mir oft die Frage nach der Zukunft eines verlassenen Shopping Centers: Was kann mit diesem Ort passieren? Auf der Suche nach Möglichkeiten fand ich einige Beispiele der Umnutzung von alten oder nicht mehr verwendeten Gebäudekomplexen, die mich dazu inspirierten, selbst Inszenierungen für eine Nachnutzung bzw. Umnutzung einer Mall zu konzipieren.“ Dabei war ihm nicht unbedingt wichtig, wie realistisch seine Entwürfe und Vorschläge sind, es ging ihm vielmehr darum, aufzuzeigen, was vorstellbar wäre – selbst vor utopischen Ideen schreckte er nicht zurück. Auch hier nutzte er die Mall of Berlin als Bühne: So wurden raumgreifende Konzepte wie „Never Ending Fun“, „Indoor Gardening“, „Die Grüne Oase“ oder „Die Verwilderung“, aber auch ein Zoo, Übernachtungsmöglichkeiten für Schutzbedürftige, ein Indoor-Hochseil-Klettergarten, ein Urban Fitness Center oder ein Vergnügungspark gedanklich durchgespielt, um potenzielle Besuchende bzw. Kundschaft in das zentral gelegene Berliner Shopping Center zu locken, das bereits heute sehr viel Leerstand aufweist. „Diese Umnutzungsszenarien sollten die Transformation einer Shopping Mall hin zu einem Ort der Möglichkeiten visualisieren – ein Ort, der durch Menschen, Tiere und Natur neu genutzt wird.“ Bei genauerer Betrachtung wurde Ismaël Sanou allerdings auch hier bewusst: „Viele der Inszenierungen greifen ebenfalls auf das System des Konsums zurück. Somit ist fraglich, ob diese Konzepte wirklich gute Lösungen für die Zukunft sind. Auch wenn immer mehr Shopping Center leer stehen, werden weitere, neue Konsumtempel gebaut: Sie bleiben nun mal Orte, an denen Erlebnisse und Glück verkauft werden. Ich denke, gute Gestaltung erzeugt dabei einen großen Mehrwert, Konsumierende sind jedoch selbst dafür verantwortlich, wie ‚kritiklos‘ sie konsumieren oder eben nicht. Gute Gestaltung versucht etwas zu verändern: Wenn uns Handlungen wieder wichtiger werden als das Image, das eine Marke transportiert, dann könnte sich auch das Bild des Einkaufens verändern. Dann wäre der Ort, an dem verkauft wird, wahrscheinlich wieder öffentlicher und freier. Wir sollten uns darüber bewusst sein, dass die ‚Freiheit‘ innerhalb von Shopping Centern nur ‚geliehen‘ ist, denn dieser Ort gibt uns vor, wie wir zu sein haben, um an der Konsumwelt teilhaben zu können. Damit raubt er uns unsere intuitive Entscheidungskraft. Ein Blick in die Hausordnungen spricht hier Bände …“
Kurz vor Ladenschluss
Dass eine Umnutzung von Shopping Centern dabei weiß Gott kein leichtes Unterfangen darstellt, macht sich aktuell weltweit bemerkbar. Denn um diese Gebäude so zu öffnen, dass damit ein attraktiver Teil der Stadt entstehen kann, braucht es immense Umbaumaßnahmen: Einkaufszentren sind nicht besonders flexibel, dafür aber robust, haben oft eine große Raumtiefe und wenig Belichtung, was schließlich zum architektonischen Konzept gehört. Dementsprechend sollen leerstehende Flächen vielmehr mit einer „Eventisierung“ der Einkaufstour wiederbelebt werden: weniger Geschäfte, dafür mehr Freizeitangebote, mehr Restaurants, mehr Veranstaltungen und mehr Unterhaltung – Shopping als Erlebnis. Aber reichen diese Maßnahmen bzw. veränderten Schwerpunktsetzungen wirklich aus, um die Kundschaft zurück in die Einkaufszentren zu bringen? Oder gibt es schlicht zu viele Center, oft auch auf zu engem Raum? Dass die Vermietung von Büros lukrativer sein könnte als die von Einzelhandelsflächen, haben mittlerweile auch viele der Investoren erkannt. So empfiehlt etwa auch die Berliner Sparkasse in einem 2019 veröffentlichten Marktbericht unter der Überschrift „Der Berliner Handel im Wandel“, Einkaufscenter zumindest teilweise zu Büroflächen umzubauen.1 Der Trend des Mall-Sterbens bleibt also zu beobachten …
„Was kommt nach dem Konsum? Ismaël Sanous Arbeit zeichnet ein fiktives Bild von Räumen eines palastartigen ehemaligen Shopping Centers, in das durch die zeitliche und gesellschaftliche Transformation Menschen, Tiere und Pflanzen einziehen werden. Es gibt an diesem Ort keine inszenierten Produkte und Lebenswelten mehr, sondern nur offene Räume, die tatsächlich öffentlich sind. In leeren Ladenräumen tauchen Besuchende ein in atmosphärische Rauminstallationen, die in Abwesenheit der Waren dazu einladen, einen kritischen Blick hinter die vergangenen Kulissen des Massenkonsums zu werfen.“
ABOUT ISMAËL SANOU
Ismaël Sanou wurde in Wien geboren und lebt derzeit in Berlin. Seine Ausbildung zum Grafikdesigner begann er an der HBLVA die Graphische in Wien, bevor er sein Bachelor-Studium an der UdK Berlin im Studiengang „Visuelle Kommunikation“ absolvierte. Hier schloss er auch sein Master-Studium in der Klasse „Raumbezogenes Entwerfen und Ausstellungsgestaltung“ ab. Heute arbeitet er als Gestalter bei der Stuttgarter Ippolito Fleitz Group. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist vor allem die medienübergreifende Kommunikation. In Shopping Center geht er nur selten.