THIERRY MUGLER: COUTURISSIME
ab 25. Mai 2020
Die Kunsthalle München präsentiert erstmals in Deutschland eine Ausstellung über den französischen Modeschöpfer Thierry Mugler. Sie wurde initiiert und produziert vom Montreal Museum of Fine Arts (MMFA) in Kooperation mit der Maison Mugler, die das Couture-Erbe des Designers restauriert hat. Kuratiert wurde die Schau von Thierry-Maxime Loriot unter der Leitung von Nathalie Bondil, Generaldirektorin und Hauptkuratorin des Montreal Museum of Fine Arts.
Die spektakulär inszenierte Retrospektive stellt das facettenreiche Werk des visionären Couturiers, Regisseurs, Fotografen und Parfümeurs vor. Sie versammelt mehr als 150 zwischen 1977 und 2014 entstandene Haute-Couture- und Prêt-à-porter-Outfits, Bühnenkostüme und Accessoires, Videos, Fotografien, Entwurfszeichnungen und Archivmaterialien. Etwa 100 Werke berühmter Modefotografen von Helmut Newton (1920–2004) bis David LaChapelle (*1963), die Muglers Kreationen in Szene gesetzt haben, runden die Ausstellung ab. In den frühen 1970er-Jahren revolutionierte der als klassischer Balletttänzer ausgebildete Mugler die Mode, indem er den fließenden Bohemien-Looks der Hippie-Zeit futuristische und komplex konstruierte Schnitte sowie skulpturale oder elegante körperbetonte Silhouetten entgegensetzte. Mit seinen Entwürfen verlieh Mugler den Menschen, die er einmal als »zerbrechliche, schöne Geschöpfe« bezeichnete, heroische Stärke. In Zeiten des Cocooning, des Rückzugs aus der als unüberschaubar und bedrohlich empfundenen Welt ins häusliche Privatleben, schuf Mugler mit Anleihen aus der Welt der Tiere und Mythen ebenso wie aus dem Universum moderner Technik und Architektur glamouröse Panzer, die Frauen in Superheldinnen verwandelten. Er experimentierte dabei mit innovativen Materialien wie Metall, Plexiglas, Kunstpelz, Vinyl oder Latex. »Mein einziges Maß ist die Maßlosigkeit«, sagte Mugler über seine extravaganten Kreationen. Seine Entwürfe wurden von Stars wie Diana Ross (*1944), Liza Minelli (*1946), David Bowie (1947–2016), Céline Dion (*1968) oder Lady Gaga (*1986) getragen, ebenso schuf er Kostüme unter anderem für die Touren und Videos von Stars wie Beyoncé (*1981). Überall auf der Welt gewann Mugler Mitarbeiter für die Umsetzung seiner fantastischen Ideen – darunter Autolackierer und Lederhandwerker, Drucktechniker und Fotografen, Wissenschaftler und Künstler. Charakteristisch für seine Mode ist eine raffinierte Mischung von Hoch- und Populärkultur, in der veredelte Haute Couture und Drag-Show-Drama zusammentreffen. Sie bewegt sich zwischen Elitismus und Massenwirksamkeit, zwischen Tradition und Transgression. Als brillanter Geschichtenerzähler mit einer Vorliebe für theatralische Performances hat Mugler einige der spektakulärsten Modenschauen seiner Zeit inszeniert. Er entwarf Kostüme für die von der Comédie-Française und dem Festival d’Avignon verantwortete Inszenierung von Shakespeares Macbeth sowie für die Zumanity-Show des Cirque du Soleil und brachte seine eigenen Revuen wie die Mugler Follies in Paris und The Wyld im Berliner Friedrichstadt-Palast auf die Bühne.
Als Fotograf und Regisseur schuf er den Videoclip »Too Funky« des britischen Sängers George Michael (1963–2016), sowie Kurzfilme mit Isabelle Huppert (*1953) und Juliette Binoche (*1964). Sein Werk zeichnet sich durch zahlreiche weitere Kooperationen mit den Größen der Kunstwelt aus – unter anderem mit dem Filmemacher Álex de Iglesia (*1965), Innenarchitektin Andrée Putman (1935–2013) und bekannten Fotografen wie Helmut Newton (1920–2004), Guy Bourdin (1928–1991), Dominique Issermann (*1947), Herb Ritts (1952–2002), Ellen von Unwerth (*1954), David LaChapelle (*1963) und Pierre & Gilles (*1950 und *1953).
Die Ausstellung präsentiert die verschiedenen Aspekte von Muglers Schaffens in acht Akten.
AKT I – FUTURISTISCHE COUTURE & FEMBOTS
Mit der Kreation von futuristischen, aerodynamischen und roboterhaften Looks, die übermenschliche Stärke ausstrahlen, lenkt Mugler den Blick auf das Verhältnis von Mensch und Maschine. Seine Cyborgs und karosserieverkleideten Geschöpfe sind Vorboten der transhumanen Revolution, die unseren Alltag heute maßgeblich bestimmt. Der Designer ließ sich dabei von Science Fiction und Comic-Heldinnen ebenso inspirieren wie von mittelalterlichen Rüstungen und Uniformen, von Industrial Design und futuristischen Fahrzeugen. 1989 entstand mit der Kollektion Hiver Buick eine Hommage an den amerikanischen Automobildesigner Harley J. Earl (1893–1969), der unter anderem die Heckflossen des 1959er Cadillac Eldorado entwarf. Ein Meisterwerk ist Muglers in 6-monatiger Arbeit entstandener »Maschinenmensch« (1995), der auf die Figur Futura in dem 1927 von Fritz Lang (1890–1976) verfilmten Roman Metropolis zurückgeht. Diese beiden Ausstellungsräume wurden vom Berliner Künstler und Bühnenbildner Philipp Fürhofer gestaltet, der bereits 2018 die beeindruckende Inszenierung der Ausstellung »Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst« verantwortete.
AKT II – STARS & STRASS. STAGING FASHION
»Meine einzig wahre Berufung ist die Bühne.« In der Überzeugung, dass Mode in einem musikalischen und theatralischen Setting gezeigt werden muss, begründete Mugler das Prinzip der Modenschau als Spektakel. 1984 öffnete er eine überwältigende, im Pariser Zenith veranstaltete Schau, eine regelrechte Mode-Oper, für ein Publikum von 6000 Personen. Sein Catwalk wurde zur Bühne für Musical-Komödien, Szenen aus Comics, Hollywood-Filme und glamouröse Cabaret-Schauen. Er führte auch den Trend ein, Stars bei Modenschauen modeln zu lassen. Mugler lud Sängerinnen und Hollywoodschauspielerinnen wie Tippi Hedren (*1930), Diana Ross (*1944) oder Sharon Stone (*1958) ein, für ihn zu laufen; Stars wie James Brown (1933–2006), David Bowie (1947–2016), Céline Dion (*1968), Madonna (*1958), Lady Gaga (*1986) und Beyoncé (*1981) trugen seine Entwürfe.
AKT III – TOO FUNKY
1992 erschien das Musikvideo für den berühmten Song »Too Funky« des britischen Popstars George Michael (1963–2016), das den Beginn von Muglers Karriere als Videoregisseur markierte. Der Song wurde auf dem Charity-Album Red Hot + Dance veröffentlicht, mit dem Mittel für den Kampf gegen Aids eingeworben werden sollten – ein Anliegen, das sowohl der Sänger als auch der Designer unterstützten. Quintessenz der Popästhetik, versammelt »Too Funky« eine außergewöhnliche Besetzung in Mugler-Outfits: Neben gefeierten Supermodels wie Linda Evangelista (*1965), Eva Herzigová (*1973), Nadja Auermann (*1971) u.a. treten auch Persönlichkeiten der New Yorker Modeszene sowie Schauspieler und Performance-Künstler auf. Es existieren zwei Versionen des Videos, eine von George Michael, die in der Ausstellung gezeigt wird, und eine von Mugler. Mit einem gleichzeitig kämpferischen und spöttischen Blick enthüllt der Designer hier den Kontrast zwischen dem Glamour auf dem Laufsteg und dem Chaos hinter den Kulissen.
AKT IV – BELLE DE JOUR | BELLE DE NUIT
Inmitten der Hippiebewegung setzte Mugler den Flower- Power- und ethnischen Looks der frühen 1970er die Erfindung seiner «Glamazone” entgegen – eine moderne, stylische, urbane, unkonventionelle Frau. Sie profilierte sich durch mutige körperbetonte Schnitte, architektonische Silhouetten und innovative Materialien und verkörperte das von Mugler weiterentwickelte Konzept des power dressing: Von da an ging die Macht weiblicher Verführung Hand in Hand mit beruflichem Erfolg. Mit dem Aufkommen des total look (Styling, bei dem nur eine Farbe oder ein Muster getragen wird) und durch Elastanstoffe ermöglichte hautenge Designs rückte der Mythos des perfekten Körpers in den Fokus. Mugler griff Materialien der Fetisch- und Untergrundszenen wie Latex und Vinyl auf und machte sie nicht nur salonfähig, sondern zu Klassikern. Die Kunsthistorikerin und Feministin Linda Nochlin (1931–2017) fasste Muglers Stil wie folgt zusammen: »Er ist so extrem, dass diese Frauen keine Sexobjekte sind, sondern Sexsubjekte.« Der Titel dieses ganz in Schwarz-Weiß gehaltenen Raumes bezieht sich auf Luis Buñuels Filmklassiker Belle de jour (Schöne des Tages; 1967), der von einer frustrierten Ehefrau (Catherine Deneuve, *1943) handelt, die sich traut, ihre Sexualität selbstmächtig auszuleben.
AKT V – MACBETH
Am 6. Juli 1985 spielte die Comédie-Française in der Eröffnungsnacht des Festivals von Avignon eine neue Produktion von William Shakespeares (1564–1616) berühmtem Stück Macbeth. Geprägt von seiner eigenen Bühnenerfahrung als Tänzer und seiner Faszination für aufwendige Inszenierungen, entwarf Mugler über 70 Kostüme sowie Accessoires für das Stück. Ihm stand dafür das größte Budget seit der Gründung der Kompanie im Jahr 1680 zur Verfügung. »Die Schauspieler trugen prachtvolle Rüstungen und Brustharnische, Wämser aus Leder und Metall, die eine Muskulatur nachbildeten. Darunter waren sie jedoch ganz verletzlich«, kommentierte Mugler. Das Kostüm der Lady Macbeth diente dem Multimediakünstler Michel Lemieux (*1959) als Ausgangspunkt für seine – speziell für diese Ausstellung kreierte – Hologramm-Installation. In ihr wird die schlafwandelnde, zunehmend von schwerer Reue geplagte Königin von dem Blut verfolgt, das sie auf ihren Händen imaginiert, bevor sie letztlich dem Wahnsinn verfällt.
AKT VI – JENSEITS DER MODE: MUGLER HINTER DER LINSE
AKT VII – HELMUT NEWTON & MUGLER
Als zentraler Bestandteil des Zeitschriftenbooms kam in den 1960erJahren die Modefotografie zu ihrem Recht, die die herkömmlichen Modeillustrationen verdrängte. Die an Bedeutung gewinnenden Chefredakteure hatten freie Hand bei der Unterstützung junger Talente, seien es Modelle, Fotografen oder Designer. So brachte Francine Crescent, Chefredakteurin der französischen Vogue von 1968 bis 1987, Muglers Karriere maßgeblich voran und unterstützte auch zwei Meister, die die Regeln der zeitgenössischen Modefotografie auf den Kopf stellten: Helmut Newton (1920–2004) und Guy Bourdin (1928–1991), deren Fotografien von Mugler-Glamazonen in den frühen 1970ern die Bildstrecken der Magazine beherrschten. Newton fotografierte starke Verführerinnen. Seine Bilder von Frauen in Kreationen von Mugler, die traditionelle Erzählweisen hinter sich lassen, zeigen eine Mischung aus kühnem Sexappeal und luxuriöser Eleganz. Sie greifen Kompositionsstrategien surrealistischer Künstler auf, spielen mit dem Konzept des Bildes im Bild oder mit der Gegenüberstellung von Akt und bekleideter Figur. Mit ihrer Vieldeutigkeit und ihrem Bildwitz haben zahlreiche seiner Werke den Status von Ikonen erlangt.
AKT VIII – METAMORPHOSEN
»Ich war schon immer fasziniert von dem schönsten Tier auf Erden: dem Menschen«, sagt Mugler. Seiner Ansicht nach ist die menschliche Verführungskunst von der Tierwelt geprägt, die seine fantastischen Kreationen anregt. Muglers Bestiarium ist inspiriert von Meerestieren und Reptilien, von Insekten, Vögeln und Schmetterlingen. Er lehnte es jedoch ab, mit luxuriösem exotischem Leder oder seltenen Federn zu arbeiten, sondern konzentrierte sich auf die Verwendung synthetischer Materialien. Wassernymphen bevölkerten die Meerestiefen seiner Kollektion Die Atlantiden mit ihren Muschel-Bustiers aus Glas, Seeigel-Accessoires, Nähten im Fischgrät-Look und spektakulären Quallenkleidern aus Organza. 1997 und 1998 gelang dem Designer mit zwei außergewöhnlichen Kollektionen die Wiederbelebung der französischen Haute Couture. Die Insekten enthielt ein atemberaubendes Etuikleid mit schwarzer Samtschleppe, die mit Schmetterlingsflügeln aus Hahnenfedern geschmückt war. Muglers »Die Chimäre« ist eine mythische Kreatur mit Gliederrüstung und Schuppen, besetzt mit Kristallen, Strasssteinen, Federn und Rosshaar – ein in Zusammenarbeit mit dem Korsetthersteller Mr Pearl (*1962) und dem Künstler Jean-Jacques Urcun entstandenes Meisterwerk, das tausende Arbeitsstunden im Atelier erforderte. Dieser Ausstellungsraum wurde vom RodeoFX mit einer animierten 360°-Projektion ausgestattet. Das mehrfach oscar-preisgekrönte Studio liefert seit Jahren die Visual-Effects für zahlreiche große Filmproduktionen, darunter Game of Thrones und Star Wars.